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Voigtländer-Kamera, 1841  

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Kleine Geschichte der Photographie

Die Erfindung des Buchdruckes mit beweglichen Lettern in der Mitte des 15. Jahrhunderts gilt heute unbestritten als Wendepunkt in der Geschichte. Dabei gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass sich Gutenberg selbst oder seine Zeitgenossen der Tragweite der Erfindung in irgend einer Weise bewusst gewesen wären. Sie sahen vor allem wirtschaftlichen Vorteile. Die Bibel konnte billig und in grösseren Stückzahlen als bisher verbreitet werden, weil nicht mehr jedes Exemplar mühsam von Hand abgeschrieben werden musste, und der Ablasshandel wurde zum lukrativen Geschäft, weil im gedruckten Ablassbrief nur noch das Datum und der Name des Inhabers von Hand eingetragen werden mussten.

Mit der Erfindung der Photographie verhielt es sich ähnlich. Das Verfahren versprach zunächst einmal zum riesigen Geschäft zu werden. Als Daguerre's Erfindung im Januar 1839 erstmals bekannt wurde, meldeten etwa 20 weitere «Erfinder» lauthals ihre Prioritätsansprüche an. Dass die Erfindung der Photographie einen ebenso bedeutenden Wendepunkt der Geschichte darstellt, wie die Erfindung des Buchdrucks, zeigt sich erst heute im Rückblick in voller Tragweite.

Neue Bild-Techniken vor der Erfindung der Photographie

Bereits vor der Bekanntgabe des ersten brauchbaren Photographie-Verfahrens im Jahre 1839 hatte sich die Stellung des damals noch gezeichneten oder gemalten Bildes grundlegend geändert. Mit dem Buchdruck wurden Informationen immer schneller für immer mehr Leute zugänglich. Und bereits im frühen Buchdruck zeigte sich, dass gedruckte Bilder, in Form von Holzschnitten oder Kupferstichen, die Botschaft des gedruckten Textes ungemein verstärken konnten. So ist es nicht verwunderlich, dass der Bilddruck von Anfang an eng mit dem Textdruck verknüpft war. Daneben fand man neue Möglichkeiten, um Bilder noch realistischer zu gestalten. Die Erfindung der Perspektive, die Bildprojektion und die Panoramamalerei brachten eine völlig neue Illusionskunst hervor.

Die späteren Erfinder der Photographie waren an diesem Wandel nicht unbeteiligt. Niépce – von ihm stammt die erste heute noch erhaltene Photographie aus dem Jahre 1826 – erforschte erfolgreich die Anwendungsmöglichkeiten der Lichtempfindlichkeit gewisser Substanzen für die Herstellung von Druckplatten und erfand, gewissermassen nebenher, auch noch das erste photographische Verfahren, die «Héliographie». Sein späterer Geschäftspartner Daguerre – er brachte 1839 das erste brauchbare Verfahren der Photographie, das «Daguerréotype», auf den Markt – war auch ein Pionier der Panoramamalerei und der Erfinder des «Diorama», einer besonders eindrücklichen Form früher Illusionskunst, die heute als Vorwegnahme des Kinos gesehen werden muss.

Die Erfindung der Photographie und erste Prophezeihungen über deren Möglichkeiten

Thomas Wedgewood (1771-1805) und Humphry Davy (1778-1839) versuchten bereits 1802 vergeblich, Bilder in der Camera obscura festzuhalten. Kontaktdrucke botanischer Objekte auf  mit Silbernitrat bestrichenem Papier und Leder gelangen zwar, konnten aber nicht fixiert werden.

Joseph Nicéphore Niépce (1765-1833) gelangen 1816 erste Bilder mit der Camera obscura auf Silbersalzpapier. Aber auch er konnte die lichtempfindlichen Bilder nicht fixieren. Ab 1822 experimentierte Niépce dann mit Judenpech als lichtempfindlicher Schicht. Die Fixierung gelang ihm, indem er die nicht belichteten Teile mit einer Mischung aus Lavendelöl und Petrol herauslöste. 1826 machte er mit seinem Verfahren, das er «Héliographie» nannte, die berühmte Aufnahme «Point de vue du Gras» (Bild).

© Harry Ransom Center (HRC) [1]

Louis Jacques Mandé Daguerre (1787-1851) schloss 1829 mit Niépce einen Vertrag, mit dem Ziel, das von Niépce erfundene Verfahren weiter zu entwickeln. Nach dem Tod von Niépce (1833) forschte Daguerre allein weiter. Aber erst 1837 gelang ihm eine erste Aufnahme mit einem wesentlich verbesserten Verfahren, welches er «Daguerréotype» taufte. Dominique François Arago (1786-1853), Sekretär der Académie des Sciences in Paris, machte sich zum Anwalt der Sache Daguerre's und berichtete erstmals am 7. Januar 1839 vom neuen Verfahren. Die offizielle Bekanntgabe des Daguerreotypie-Verfahrens durch Arago und Daguerre vor der Académie des Science und der Académie des Arts in Paris erfolgte dann am 19. August 1839 (Bild). Das Verfahren wurde vom französischen Staat gekauft und «der Welt geschenkt».

Photobibliothek.ch 8958 (Band 3, Seite 41)

Ohne Wissen um die Arbeiten von Niépce und Daguerre gelangen 1835 auch William Henry Fox Talbot (1800-1877) erste Aufnahmen in der Camera obscura, die er «Photogenic Drawing» nannte. Erhalten ist heute noch das Negativ des Gitterfensters seiner Bibliothek in Lacock Abbey (Bild).

Photobibliothek.ch 12421 (Seite 2)

Im Februar 1841 konnte dann Talbot sein stark verbessertes Negativ-Positiv-Verfahren mit Entwicklung des latenten Bildes in Gallussäure bekannt geben. Die «Kalotypie», später zu Ehren Talbots auch «Talbotypie» genannt, ist die Vorläuferin aller späteren photographischen Verfahren.

In der Photographie sah man zuerst vor allem eine Konkurrenz für die Porträtmaler, obwohl die Belichtungszeiten für Porträts damals noch viel zu lang waren. Die grosse Bedeutung der Photographie auf die Gesellschaft wurde aber ebenso wenig erkannt wie seinerzeit bei der Erfindung des Buchdrucks. Das Prophetischste über die zukünftigen Anwendungsmöglichkeiten der Photographie stammt zweifellos von Talbot, dem dritten «grossen» Erfinder der Photographie. In «Some Account of the Art of Photogenic Drawing» vom Februar 1839 zeigte er als Erster überhaupt die Möglichkeiten der Photographie auf, und mit «The Pencil of Nature» (Bild) von 1844-1846 sah er dann viele spätere Entwicklungen voraus. Doch wie stark die Photographie die Gesellschaft verändern würde, hat auch Talbot nicht vorhergesehen.

Photobibliothek.ch 613

«Photographie ist Wahrheit»

Die ersten Daguerreotypien faszinierten vor allem durch die Wiedergabe kleinster Details: Mit einer Lupe konnten zufällig aufs Bild gekommene Graffitis entziffert oder vergessen gegangen Gegenstände entdeckt werden. Nur bewegte Objekte blieben zunächst unsichtbar. Bald war es aber auch möglich, Porträts anzufertigen, und deren Ähnlichkeit war den damals üblichen Miniaturen weit überlegen. Schnell hatte sich in den Köpfen festgesetzt, dass die Photographie in der Lage ist, die Wahrheit abzubilden, wie keine andere Technik.

Auch die gedruckten Photographien in Büchern und Zeitschriften und später die bewegten Photographien in Film und Fernsehen haben ihren Einfluss auf die Gesellschaftsentwicklung in erster Linie diesem Umstand «Photographie ist Wahrheit» zu verdanken. Obwohl wir heute wissen, dass mit Photographien – vor allem in Politik und Werbung – gelogen wird, was das Zeug hält, hat dies der vermeintlichen Wahrhaftigkeit der Photographie bis heute kaum geschadet.

Durch diesen Glauben an die «Wahrhaftigkeit der Photographie» wurden Photographien zu wichtigen Zeugen, die den Verlauf der Geschichte grundlegend beeinflussten. Beispiele aus dem 19. Jahrhundert sind die Zerstörungen in Paris nach dem Aufstand der «Commune» oder die Sozialreportagen «Street-life in London» von John Thomson (1876) und «How the Other Half Lives» von Jacob A. Riis (1890).

Beispiel aus dem 20. Jahrhundert gibt es unzählige, einige bekannte davon sind die Sozialreportage «An American Exodus» von Dorothea Lange über die Amerikanische Depression Ende der 30er Jahre oder das Photo von Robert Capa vom fallenden Soldaten im Spanischen Bürgerkrieg (1936) und seine Aufnahmen von der Invasion am 6. Juni 1944. Jüngste Beispiele sind die Photos von misshandelten Gefangenen im Irak (2004) oder die mit einem Handy gefilmte Hinrichtung von Saddam Hussein am 30. Dezember 2006.

Photographie und Kunst

Die Diskussion darüber, ob die Photographie eine Kunst sei oder jemals eine werden könne, beschäftigte die Kunsttheoretiker seit der Erfindung der Photographie. Das Hauptargument dagegen war, dass die Photographie ein rein mechanischer Prozess sei, bei dem der Photograph nichts weiter zu tun habe, als abzudrücken. Die Pictorialisten vertraten hingegen die Meinung, dass Photographie dann zur Kunst wird, wenn die typischen Bildeffekte der Malerei auf die Photographie übertragen werden. Die theoretische Grundlage des Pictorialismus lieferte Henry Peach Robinson (1830-1901) mit «Pictorial Effect in Photography» (Bild), welches 1869 erschien.

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Dass die Photographie – auch ohne pictorialistische Effekte – ein künstlerisches Potential hat, erkannten.Künstler wie Nadar (1820-1910) und Etienne Carjat (1828-1906) schon sehr früh. Ihre Porträts berühmter Zeitgenossen, die 1876-1880 in der «Galerie Contemporaine» (Bilder) veröffentlicht wurden, sind heute in jedem Buch zur Geschichte der Photographie abgebildet.

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Anfangs des 20. Jahrhunderts war es Alfred Stieglitz (1864-1946), der in seiner Zeitschrift «Camera Work» (Bilder) Photographen wie Edward Steichen (1879-1973), Alvin Langdon Coburn (1882-1966) und Paul Strand (1890-1976) ein Forum zur Publikation ihrer Werke bot. Zuerst Coburn und dann vor allem Strand widersetzten sich immer mehr der pictorialistischen Auffassung, dass die Photographie als eine Art «Lichtmalerei» die traditionelle Malerei möglichst erfolgreich nachzuahmen habe.

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Das Jahr 1929 war eines der folgenreichsten in der Geschichte der Photographie: Mit der Werkbundausstellung «Film und Foto» in Stuttgart wurde der malerischen Photographie durch die «Neue Fotografie» der Kampf angesagt. Im Katalog (Bild) heisst es unter anderem: «Die Frage der sogenannten "künstlerischen Fotografie" tritt in den Hintergrund. Ja, die Ausstellung setzt sich bewusst und absichtlich in schäfsten Gegensatz zu der immer noch landläufigen Auffassung, als ob eine fotografisch-künstlerische Wirkung nur durch Weichheit, Verschwommenheit und insbesondere manuelle Überarbeitung der Aufnahmen zu erzielen sei. Im Gegenteil! Grundlage jeder echten fotografischen Leistung bildet das Objektiv, jene kleine Linse, mit der alle Dinge klar, scharf und präzis erfasst werden können.»

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Anfangs der 50er Jahre war es dann Otto Steinert (1915-1978) der mit seiner Ausstellung «Subjektive Fotografie» (Bild) der Photographie neue Impulse gab. Nicht die objektive Wiedergabe der Wirklichkeit war es, die die «Subjektive Fotografie» anstrebte, sondern deren bildhafte Deutung, deren persönliche Interpretation durch subjektive Bildvorstellungen. Das Ergebnis waren betont graphische Schwarzweiss-Photographien.

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Gewissermassen als Gegenbewegung zur «Neue Fotografie» und zur «Subjektiven Fotografie» wieder hin zu einer volkstümlicheren Photographie trat Edward Steichen (1879-1973) an, als er 1955 die Ausstellung «The Family of Man» (Bild) für das Museum of Modern Art in New York konzipierte. Ziel war eine humanistische Photographie, die alle Völker miteinenander versöhnen sollte. Neben zahlreichen unbekannten Photographen waren auch viele damals bereits bekannte Namen dabei, wie Robert Capa, Henri Cartier-Bresson, Werner Bischof, Ansel Adams, Alfred Eisenstaedt, Dorothea Lange, August Sander usw. Die Ausstellung war ausserordentlich erfolgreich und wurde nachher in vielen Ländern als Wanderausstellung gezeigt.

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Fast alle Photographen nach ihm, beriefen sich auf ihn: Robert Frank, Schweizer, geboren 1924. Mit einem Guggenheim-Stipendium bereiste er 1955/56 die USA. Die 83 Photos, die er 1958/59 unter dem Titel «Les Américains» bzw. «The Americans» (Bild) veröffentlichte, begründeten einen völlig neuen Stil in der Photographie, der Frank zu einem der einflussreichsten Photographen des 20. Jahrhunderts machte. Scheinbare technische Unzulänglichkeiten, wie angeschnittenen Personen, abgeschnittene Köpfe, schiefer Horizont, grobes Korn und Bewegungsunschärfen, gaben das Leben der Amerikaner in einer solchen Tristesse wieder, dass Frank in amerikanischen Rezensionen als perverser Lügner bezeichnet wurde, der sich am Elend anderer weide.

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In Europa waren in den 70er und 80er Jahren vor allem Bernd Becher (1931-2007) und Hilla Becher (geboren 1934) von grossem Einfluss auf die kommende Photographengeneration. Sie dokumentierten Industrieanlagen in einheitlichen Bildserien: immer der gleiche, unverzerrte Bildausschnitt, immer die gleiche Beleuchtung (bewölkter Himmel), immer mit maximaler Tiefenschärfe. In der Stahl- und Kohlekrise verschwanden viele dieser Bauwerke für immer. Die Bechers verstanden sich deshalb als Archäologen der Industriearchitektur. Ihre konzeptuelle Photographie beeinflusste zahlreiche jüngere deutsche Photographen, wie Andreas Gursky, Candida Höfer, Axel Hütte, Thomas Ruff, Jörg Sasse, Thomas Struth.

In den USA beteiligten sich die Bechers 1973 an der Ausstellung «New Topographics: Photographs of the Man-Altered Landscape» (Bilder), die im George Eastman House in Rochester gezeigt wurde. Statt der heroischen Landschaft eines Edward Weston oder Ansel Adams wurde die vom Menschen veränderte Landschaft zum Thema gemacht. Die amerikanischen Photographen Robert Adams, Lewis Baltz und Stephen Shore wurden vor allem durch diese Ausstellung bekannt.

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Eine weitere, damals nur wenig beachtete, aber heute wegweisende Ausstellung fand 1976 im Museum of Modern Art statt. William Eggleston (geboren 1939) photographierte schlichte, absolut nicht als bildwürdig geltenden Motive, wie das Kinderdreirad auf dem Einband des Katalogs (Bild). Die Farbgebung wirkt unnatürlich, der Blickwinkel aus der Froschperspektive ist unkonventionell, eher wie ein Amateur-Schnappschuss. Viele seiner Photographien gelten heute als stilbildend für die «New Color Photography», deren bekannteste Vertreter (neben Eggleston) Joel Sternfeld, Nick Waplington und Martin Parr sind.

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Das Photobuch als Kunstobjekt

Seit der Erfindung der Photographie wurden Photographien nicht nur als Einzelobjekte gesehen, sondern sie wurden auch in Photobüchern, zusammen mit Textbeiträgen, in neue Zusammenhänge gebracht. Das Photobuch hat sich inzwischen zu einer eigenständigen Form der Photokunst entwickelt. In zahlreichen Publikationen wurde in jüngster Zeit versucht, einen «Kanon» der bedeutendsten Photobücher zu etablieren:

  • «The Truthful Lens» von Lucien Goldschmidt und Weston J. Naef (1980)
  • Die Ausstellung «Fotografia Publica» im Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofia in Madrid (1999)
  • «100 Important 20th-Century Photobooks» von David H. Tippit (1999) [2]
  • «The Book of 101 Books» von Andrew Roth (2001)
  • Die Ausstellung «The Open Book» im Hasselblad Center Göteborg (2004)
  • «The Photobook - A History» von Martin Parr und Gerry Badger
    (volume I 2004, volume II 2006, volume III 2014)
  • «Photo Books» von Michèle und Michel Auer (2007)
  • «Imagining Paradise» von Sheila J. Foster, Manfred Heiting und Rachel Stuhlman (2007)

Die durch diesen «Kanon» der bedeutendsten Photobücher «geadelten» Photobücher werden zunehmend auch als Kunstobjekte gesammelt und haben – nach den Preisen für Photographien – auch die Preise berühmter Photobücher in die Höhe schnellen lassen. Dabei wird vor allem auf Vollständigkeit und hohe Qualität geachtet. Ein Buch mit intaktem Schutzumschlag erzielt schnell einmal den drei- bis fünffachen Preis eines Exemplars ohne Schutzumschlag.

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[1] >>> HRC: http://www.hrc.utexas.edu/exhibitions/permanent/wfp/

[2] >>> David H. Tippit: 100 Important Photobooks (Download)


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